Internationale Nachwuchswissenschaftlerinnen erfolgreich gewinnen und halten

Noch immer wird viel Forschungspotenzial verschenkt, weil zu wenige hochqualifizierte Frauen in der Forschung arbeiten und in führenden Positionen in Wissenschaft und Forschung vertreten sind. Insbesondere internationale Forscherinnen stehen vor besonderen Herausforderungen. Diese gilt es zu beachten, um sie als deutsche Forschungseinrichtung erfolgreich anzusprechen.

Nach Angaben des UNESCO-Institut für Statistik (UIS) lag der Frauenanteil in der deutschen Wissenschaft im Jahr 2016 bei 28 Prozent – und ist damit einer der niedrigsten Anteile in Europa. Insbesondere in der Postdoc-Phase verlassen junge Frauen die Forschung. Dieses Ungleichgewicht hat gravierende Auswirkungen auf die Forschung: wie z. B. die Verschiebung von wissenschaftlichen Schwerpunkten, Forschungsthemen und -methoden.

„Es geht darum, Frauen für die Wissenschaft zu gewinnen und zu halten, also weniger um Unterstützung als um ein attraktives (Karriere-)Angebot“, fasst Dr. Ulla Weber, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Max-Planck-Gesellschaft, zusammen.

Was jungen internationalen Wissenschaftlerinnen einen Forschungsaufenthalt in Deutschland erschwert

Sprachbarrieren und der Umgang mit Bürokratie und Ämtern sind längst nicht die größten Hindernisse für einen erfolgreichen Forschungsaufenthalt in Deutschland.

„Oft sind es zum Beispiel interkulturelle oder soziokulturelle Unterschiede innerhalb des akademischen Systems oder ein Mangel an sozialen Netzwerken und familiärem Rückhalt“, berichtet Dr. Phuong Glaser, die an der Universität Köln das „Mentoring Program for International Female Scholars (IFS)” koordiniert. Auch Wissenslücken über formelle und informelle Strukturen des deutschen Hochschulsystems zählten unter anderem hierzu.

Hürden für Forscherinnen mit Kindern besonders hoch

Einen tiefen Einblick in die Bedürfnisse junger internationaler Wissenschaftlerinnen haben auch Dr. Astrid Burgbacher, Koordinatorin des Programms „WiRe - Women in Research“, einem Förderprogramm für internationale Postdoktorandinnen an der Universität Münster, sowie ihre Kollegin Audrey Busch, Beraterin für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Koordinatorin des Programms „RE.AL - Research Alumni“. Für sie ist je nach Herkunft der Forscherinnen auch Empowerment ein wichtiger Aspekt, um sich der Gleichwertigkeit der eigenen Arbeit gegenüber der ihrer männlicher Kollegen bewusst zu sein und in den hierarchischen Strukturen der Universitäten ihre Ziele und Bedürfnisse klar zu verfolgen. Hier gelte es, gezielt die Selbstwahrnehmung und Ziele zu stärken.

Zudem sind die Organisationshürden für Wissenschaftlerinnen, die bereits Kinder haben, bei Forschungsaufenthalten im Ausland besonders hoch. Dr. Astrid Burgbacher berichtet aus der Entwicklung des „WiRe“-Programms: „Seitdem wir – ursprünglich pandemiebedingt – auch eine ‚Remote‘-Variante unseres Fellowship-Programms für internationale Forscherinnen anbieten, hat sich der Anteil von Wissenschaftlerinnen mit Kindern deutlich erhöht.“

Bewährte Angebote mit individuellen Komponenten kombinieren

Die Praxis zeigt, dass die Kombination aus bestehenden Angeboten und individueller Betreuung für junge internationale Forscherinnen sehr gewinnbringend ist. IFS-Koordinatorin Dr. Phuong Glaser unterstreicht, wie wichtig Stabilität sowie Nachhaltigkeit der Maßnahmen sind, um die (Selbst-)Sicherheit der Forscherinnen noch mehr zu stärken und den immer komplexeren Belastungen entgegenzuwirken.

Zu bewährten Bausteinen gehören beispielsweise:

  • Welcome Events und Betreuungsangebote nach der Ankunft in Deutschland
  • Orientierungswochen
  • Kulturaustausch
  • Informationsveranstaltungen
  • Dual Career Services für die begleitenden Partner sowie Wissen zum lokalen Arbeitsmarkt
  • Kinderbetreuung bzw. Schulintegration
  • Alumni-Netzwerke

Individuellen Maßnahmen können beispielsweise sein:

  • Coaching und Beratung (sowohl in der Gruppe als individuell)
  • Mentoring
  • Workshops und Trainings
  • Begleitung durch Ombudspersonen mit fachlichen und interkulturellen Kompetenzen sowie internationalen Erfahrungen
  • Finanzielle Förderung sowie Extraförderlinien wie Stipendien z.B. für Übergangsphasen (inkl. Einstieg aus Mutterschutz sowie Elternzeit), Kongresse, Feldforschungen)
  • Wohnraumangebote

Als relevante Themen haben sich u. a. herauskristallisiert:

  • Integration vor Ort und Angelegenheiten rund um Visum und Einreise
  • Professionelle und persönliche Entwicklung, psychosoziale Unterstützung
  • Stärkung der eigenen Selbstwahrnehmung und Ziele
  • Wissenschaftskommunikation und Transferprojekte
  • Netzwerken
  • Planung der eigenen Karriere und des Lebens während des Forschungsaufenthalts in Deutschland
  • Sprachkenntnisse

Dem Einfluss (un)bewusster Denkmuster innerhalb universitärer Prozesse aktiv entgegenwirken

Doch mit diesen Angeboten allein ist es nicht getan, wenn Forscherinnen auf dem weiteren Karriereweg den nächsten Hürden begegnen: bewusste oder unbewusste Einstellungen innerhalb universitärer Prozesse. Dr. Phuong nennt hier z. B. Rekrutierung von neuen Mitgliedern, Mitarbeitenden und Führungskräften, Bewerbungsverfahren, Peer Review sowie Zitieren von Veröffentlichungen, Unterstützung und Mentoring oder Evaluationen.

Fortbildungen und Bewusstseinsschärfung von Führungskräften und Mitarbeitenden könnten hier zwar etwas ändern – doch laut Dr. Ulla Weber sollte an anderer Stelle angesetzt werden, insbesondere angesichts der großen personellen Fluktuation innerhalb von Wissenschaftsorganisationen: Verfahren zu Leistungsbeurteilung und Personalauswahl, Teamprozesse und Ressourcenverteilung sollten so gestaltet werden, dass sie unabhängig bzw. so wenig anfällig wie möglich für individuelle Einstellungen und Haltungen sind.

Möglichst viele Stellschrauben für mehr Chancengleichheit drehen

Dr. Astrid Burgbacher sieht auch die Entwicklung und Realisierung von mehr und besseren Konzepten zur Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie als maßgeblich, wie z. B. auch in der Wissenschaft flexiblere Modelle für Führungspositionen, wie Möglichkeiten, Vollzeitstellen zu teilen oder mit (vorübergehend) reduzierter Arbeitszeit ausfüllen zu können. Wichtig sind ihrer Ansicht nach auch weitere Instrumente, damit mutterschutz-/elternzeitbedingte Forschungsauszeiten und familienbedingte Arbeitszeitreduzierungen von Frauen und Männern nicht zu einem Karrierenachteil werden.

Nah an der Zielgruppe sein und auf lange Sicht denken

Die Einblicke zeigen, wie essenziell der intensive Austausch mit der Zielgruppe ist, um ihren Bedarf wirklich zu erfassen. Das langfristige Denken bei sämtlichen Angeboten ist unabdingbar.

Maßnahmen zur Gewinnung junger internationaler Forscherinnen sollten einhergehen mit der Frage, welche Aspekte internationalen Nachwuchswissenschaftlerinnen auf lange Sicht den Weg ihrer Forscherinnenkarriere ebnen und die Karrieremöglichkeiten in der Wissenschaft verbessern.